Hintergrund
Wissenschaftlicher Hintergrund
Die mit der Entwicklung und Evaluierung des Wiener Ernährungsprotokolls betrauten Bachelorstudentinnen, Frau Kogler und Frau Bersenkowitch, entschlossen sich in einem ersten Schritt das Freiburger Ernährungsprotokolls im Selbstversuch durchzuführen um es auf seine Benutzerfreundlichkeit zu prüfen und u.a. Ideen für das Layout, die Auswahl, Bezeichnung und Anordnung der Lebensmittelitems des WEPs zu sammeln. Daraus entstand die erste Version des WEP, die mit Hilfe zweier Expert*innen überarbeitet wurde. Die Pilotierung des WEP fand im Rahmen einer Fokusgruppendiskussion statt. Die Verbesserungsvorschläge der Fokusgruppe wurden von Frau Bersenkowitch und Frau Kogler evaluiert und eine Auswahl in das WEP eingearbeitet. Anschließend wurde eine Studie zur Beurteilung der Validität, Reliabilität und Usability des entwickelten WEP durchgeführt.
Studie zu Validität, Reliabilität und Usability
Für die randomisierte kontrollierte Cross-Over-Studie zur Beurteilung von Validität und Reliabilität wurden 67 gesunde Erwachsene im Alter zwischen 20 und 64 Jahren rekrutiert, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Zusätzlich zu Alter und Geschlecht der Proband_innen wurde Größe und Gewicht (zur Berechnung des BMI) sowie das Bildungsniveau erhoben.
Gruppe 1 begann mit einer viertägigen Nutzung des WEP, Gruppe 2 mit einer viertägigen Nutzung des Wiegeprotokolls (t0), das als Goldstandard der Ernährungserfassung gilt. Nach einer zweiwöchigen Wash-Out Phase führten die beiden Gruppen die Intervention der jeweils anderen Gruppe durch (t1). Nach einer erneuten zweiwöchigen Wash-Out Phase schlossen beide Gruppen die Studienteilnahme mit einer erneuten viertägigen Nutzung des WEP ab (t2).
Im Zuge der Studie wurde zudem eine quantitative Befragung zur Usability des WEP durchgeführt.
Zielsetzungen
Berechnung der Korrelation von Energieaufnahme, 36 Nährstoffe und 23 Lebensmittelkategorien zwischen Nutzung des WEP und Nutzung des Wiegeprotokolls (Validität) und zwischen der ersten (t0 bzw. t1) und der zweiten (t2) Nutzung des WEP (Reliabiltät).
Beurteilung der Usability des WEP durch das Beantworten von 5 Fragen zum WEP auf einer 5-Punkte Skala. Überprüfung der Einflussnahme der Faktoren Geschlecht, Alterskategorie (< 30; > 30 Jahre) BMI und Bildungsniveau auf die Usability.
Ergebnisse und Interpretation
In die Auswertungen von Validität, Reliabilität und Usability wurden jeweils 35 Proband_innen eingeschlossen, der Rest fiel aufgrund von Drop-Outs, Underreporting und Ausreißerbereinigung aus.
Validität: Die Aufnahme von Energie, 33 von 36 Nährstoffen sowie 15 von 23 Lebensmittelgruppen korrelierten signifikant (berechnet mittels Pearson’s-Maßkorrelationskoeffizienten) mit mittleren und starken Effektgrößen zwischen der Erfassung durch das WEP und dem Wiegeprotokoll.
Reliabilität: Zwischen der Aufnahme von Energie, 30 von 36 Nährstoffen und 16 der 23 Lebensmittelgruppen gab es einen signifikanten Zusammenhang (bestimmt mittels Intra-Klassenkorrelationskoeffizienten) zwischen dem Zeitpunkt der ersten und der zweiten WEP-Erhebung. Die Stärke der Zusammenhänge konnte wie folgt bewertet werden: exzellent bei einem Nährstoff (Vitamin D), gut bei 5 Nährstoffen und 1 Gruppe, moderat bei 17 Nährstoffen, Energie und 10 Gruppen und schwach bei 7 Nährstoffen und 5 Gruppen schwach.
Insgesamt kann somit sowohl eine gute Validität als auch eine gute Reliabilität des WEP verzeichnet werden. Wobei anzumerken ist, dass die Männer (n=13) sowohl eine höhere Übereinstimmungsvalidität als auch eine höhere Test-Retest-Reliabilität vorwiesen als die Frauen (n=22). Vermutet wird, dass dies auf eine generell höhere Variabilität des Essverhaltens von Frauen zurückzuführen ist.
Usability: Laut der Befragung zur Usability des WEP kann die Nutzung des WEP als eher einfach und interessant beurteilt werden. Die Proband_innen gaben an durch die Nutzung des WEP ihr Essverhalten eher zu reflektieren und können sich eher vorstellen, das WEP in Zukunft wieder zu nutzen. Ob die Nutzung des WEP zeitintensiv war lässt sich als neutral beurteilen.
Die Beurteilung der Usability unterschied sich weder zwischen Männer und Frauen noch zwischen den unter und über 30-Jährigen. Der Faktor Bildung nahm lediglich Einfluss auf die Beurteilung der Einfachheit des WEP, der Faktor BMI auf die Vorstellbarkeit das WEP auch in Zukunft zu nutzen.
Limitationen
Eine Herausforderung bei der Erhebung von Verzehrsdaten mittels prospektivem Ernährungsprotokoll ist die starke Abhängigkeit der Ergebnisse von Motivation und Kooperation der Teilnehmer_innen. Aufgrund der hohen Dropout-Rate konnten von ursprünglich 67 rekrutierten Studienteilnehmer_innen nur 35 in die Auswertung mit eingeschlossen werden. Diese relativ kleine Studienpopulation wies einen höheren Frauenanteil auf und schloss hauptsächlich Proband_innen mit hohem Bildungsgrad aus Wien ein. Es kann also somit keine Aussage für die österreichische Gesamtbevölkerung getroffen werden.
Die geringere Validität und Reliabilität der Frauen im Vergleich zu den Männern, die auf die höhere Variabilität des Essverhaltens der Frauen zurückgeführt wird, lässt darauf schließen, dass eine viertägige Durchführung des Ernährungsprotokolls die Ernährungsgewohnheiten der Frauen nicht repräsentiert. Eine Verlängerung der Protokollierdauer erscheint daher angemessen.
Eine weitere Limitation der Studie ist, dass die letzte Wash-Out-Phase eine Woche nach vorne verschoben wurde, da diese in die Osterfeiertage fiel (nicht repräsentativ, da die Verzehrsgewohnheiten an Feiertagen nicht der Regel entsprechen). Die zweiwöchige Wash-Out-Phase wurde somit auf eine Woche verkürzt, wodurch die Fehleranfälligkeit durch einen möglichen Carry-Over-Effekt erhöht wurde.
Zudem konnten saisonale Schwankungen der Verzehrsgewohnheiten aufgrund des kurzen Studiendurchlaufs nicht berücksichtigt werden.
Fazit
Verglichen mit dem Goldstandard der Ernährungserhebung, dem Wiegeprotokoll, liefert das Wiener Ernährungsprotokoll ähnliche Auswertungsergebnisse. Auch die Evaluierung der Benutzerfreundlichkeit ist als durchaus positiv zu beurteilen. Im Vergleich zum Wiegeprotokoll sind sowohl das Ausfüllen als auch die Auswertung des WEP um einiges einfacher. Da die im WEP enthaltenen Lebensmittel- und Speisenitems in der Ernährungssoftware nut.s (Firma: dato Denkwerkzeuge) vorcodiert wurden, lässt sich die Auswertung WEP mit deren Hilfe in nur etwa 10 Minuten bewerkstelligen. Die Auswertung des Wiegeprotokolls beansprucht dahingegen das 4-5fache der Zeit, im Schnitt 45 Minuten.
Die Evaluierung des WEP lässt somit darauf schließen, dass das WEP sich als prospektives Ernährungserhebungsinstrument durchaus eignet und somit in Zukunft ein hilfreiches Tool für Verzehrserhebungen im Bereich der Ernährungsberatung und -forschung eingesetzt werden kann.